Zeit

von Lexikon

„Zeit“ ist ein Phänomen, das Schamanen, Philosophen, spirituelle Denker und Naturwissenschaftler schon immer beschäftigt. Auch dieses Lexikon kann keine Antworten geben, aber einige Fragen aufwerfen. Zeit kann nicht wahrgenommen werden (→ Wahrnehmung), auch wenn die Menschen ein Konzept davon haben und Uhren, um sie zu „messen“. Zeit ist kein Bestandteil der Existenz, d.h. der existierenden Welt, sondern eine Voraussetzung für die existierende Welt.
Ihre einzige unabänderliche wissenschaftliche Charakteristik ist die Nichtumkehrbarkeit. Das bedeutet jedoch nicht, dass ein subjektives „Zeitgefühl“, eine Ausdehnung, Verkürzung oder sogar ein Kreislauf der Zeit wahrgenommen werden kann. Außerdem hat die spezielle Relativitätstheorie von Einstein gezeigt, dass man Raum und Zeit nicht voneinander trennen kann, auch wenn der wesentliche Charakter beider davon unberührt bleibt. In vielen alten Glaubenssystemen jedoch gibt es die Möglichkeit, durch bestimmte → Rituale die Zeit zu „erneuern“. Dabei wird die Weltschöpfung jedes neue Jahr wiederholt. Die Phasen des Mondes – erstes Erscheinen, Wachsen, Abnehmen und Verschwinden und das Wiedererscheinen nach drei finsteren Nächten – hatten einen starken Einfluss auf die zyklische Vorstellung der alten Völker, sodass die Zeit von ihnen nicht als linearer Vorgang, sondern als Kreis und Erneuerung wahrgenommen wurde.
Die Quantenphysik hat Möglichkeiten aufgezeigt, wie die Zeit überwunden werden kann, ohne sie auszulöschen. Die vierdimensionale Raum-Zeit-Welt hat ihre Begrenzungen, auch wenn diese Welt es ermöglicht, Erfahrungen in ihr zu machen. Wenn Menschen immer wüssten, welche Konsequenzen ihre Handlungen weit in die Zukunft haben, dann könnte manches Leid im Ansatz verhindert werden (→ Karma). Menschen mit spirituellen Vorstellungen möchten gern in eine zeitlose Welt kommen, in der es weder Veränderung noch Tod oder Verfall gibt (→ Nirwana). In dieser Idee liegt eine gewisse Selbsttäuschung, denn wer verzichtet schon gern auf Erfahrungen! In dem Moment, in dem Teile der Erfahrungen verschwinden, verschwinden sie auch aus dem Bewusstsein, wie es etwa bei Alzheimerkranken der Fall ist.
Tatsächlich kann das Potenzial für Erfahrungen erhalten werden; ein Beispiel dafür sind eingefrorene Embryos. Werden sie irgendwann aufgetaut, so haben sie das Potenzial zum Leben. Erinnerungen lassen sich ebenfalls „einfrieren“. Sie werden an irgendeinem Platz in unserem Körper oder Gehirn gespeichert und können wieder aufgeweckt werden. Vielleicht gibt es auch einen außerkörperlichen Ort für „starke“ Erinnerungen, der in der Idee des → morphogenetischen Feldes enthalten ist (→ außerkörperliche Erfahrungen, → Synchronizität). Es sind zeitlos aufbewahrte Erfahrungen. 
Im Gegensatz dazu können sich gewöhnliche Erinnerungen verändern. Jeder weiß, welche Streiche Erinnerungen spielen können. Man denkt, es sei so und so gewesen, um dann von jemand anderem, der dabei war, etwas völlig anderes zu erfahren. Oder ein Foto stellt die Sachlage klar – doch das Foto kann auch retuschiert sein …
J.G. → Bennett (2004) geht davon aus, dass es so etwas gibt wie „unvergängliche Erinnerungen“, die auch nach dem Tod eines Menschen bleiben. Er benutzt dafür den Begriff → „Ewigkeit“. Diese Erhaltung von Erinnerungen in einer fünften Dimension ist nicht dasselbe wie die Vernichtung der Zeit. Es hört sich schon seltsam an, wenn man sich vorstellt, dass Potenziale aus der Zeit genommen werden können, um sie dann wieder in der Zeit zu verwirklichen! Der Künstler und Dichter William Blake (1757-1827) schrieb dazu den schönen Satz: „Die Ewigkeit ist verliebt in die Hervorbringung der Zeit.“
Zeit stellt eine Mauer mit potenziellen Öffnungen im Feld der Möglichkeiten auf. Sie teilt das, was sein wird, von dem, was sein könnte. Niemand hat je Zeit oder Raum tatsächlich „gesehen“. Wir sehen nur die Dinge, die gerade geschehen. Ohne eine Erfahrung gibt es auch keine Zeit. Man könnte sagen, dass Zeit das Innere, das Sein eines Menschen ist und Raum das Äußere. Wir denken, dass Zeit vergeht oder dass die Zeit fließt. Doch was fließt? Wie kann etwas, das nicht „existiert“, fließen oder etwas geschehen lassen?
Es muss aber noch etwas Weiteres geben, das die Möglichkeit eröffnet, sich zwischen der Welt der Möglichkeiten und der Welt der Verwirklichungen zu bewegen. Bennett nannte diese Dimension Hyparxis, eine Art „vertikale“ Zeit, die er an einer Stelle als „Fähigkeit zu sein“ umschreibt. Es ist aber auch die Fähigkeit, bewusste Erfahrungen zu machen, etwas zu gestalten, das eine bleibende Qualität bewahrt. Diese Fähigkeit liegt im → Willen. Freiheit ist nur möglich, wenn ein → Risiko eingegangen wird.
Wie können wir die Zeit überwinden oder die Zukunft verändern, wenn wir Entscheidungen treffen, bevor die Ereignisse als harte Fakten eingetreten sind? Wir gehen dabei der Zeit voran, um etwas vorzubereiten, das noch nicht geschehen ist. Wir „gehen irgendwo hin, wo überhaupt noch nichts ist“ (John G. Bennett, The Dramatic Universe, 1966, Vol. 4, 51 ff.).
Die „hyparchische Zukunft“ besteht aus nichtverwirklichten und doch wirklichen Ereignissen. Sie sind nicht potenziell im Sinne von Mustern dessen, was sein könnte. Dieser Zustand könnte eher mit einer kreativen Aktivität beschrieben werden, die vollständig virtuell ist.

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